Kunstbilanz

Ein Jahr „Zuckerwürfel“: Das mre in Wiesbaden zieht Bilanz

Ein Jahr nach seiner Eröffnung zieht das Museum Reinhard Ernst eine eindrucksvolle Bilanz: Über 167.000 Besucher, innovative Bildungsformate – und ein Ausblick auf hochkarätige Ausstellungen mit Helen Frankenthaler, Wolfgang Hollegha und Judit Reigl.

Von: |Erschienen am: 27. Juni 2025 00:16|

Foto: Sascha Kopp

Vor genau einem Jahr öffnete das Museum Reinhard Ernst (mre) an der Wiesbadener Wilhelmstraße seine Türen.

Der markante Bau mit der leuchtend weißen Granitfassade, entworfen vom renommierten Architekten Fumihiko Maki, ist dessen einziges Museum in Europa – und hat schnell einen Spitznamen erhalten: „Zuckerwürfel“.

Erfolg in Zahlen: Besucher aus aller Welt

Zur Feier des ersten Jubiläums präsentierten Museumsgründer Reinhard Ernst und Direktor Dr. Oliver Kornhoff beeindruckende Zahlen: Seit Juni 2024 kamen über 167.000 Menschen ins mre, darunter 15.500 Kinder und Jugendliche. An den Bildungsprogrammen nahmen 48.500 Personen teil, 11.400 davon waren junge Gäste.

Vormittags gehört das Haus exklusiv Schulen – 580 Schulklassen nutzten dieses Angebot. Auch für Erwachsene gab es 1.750 öffentliche und private Formate. Die Besucher reisten aus der ganzen Welt an, sogar aus Übersee; in Europa kamen die meisten aus den Nachbarländern Schweiz, Frankreich, Niederlande und Österreich.

Kunst für alle Altersgruppen

„Meine Frau und mich erfüllt es mit großer Freude zu sehen, wie gut das mre vom ersten Tag an angenommen wurde. Ich wünsche mir, dass wir die Kreativität bei Kindern wecken, und dass sie Teil ihres Lebens wird“, erklärte Reinhard Ernst.

Frankenthaler im Fokus des Hauses

Direktor Kornhoff betonte: „Der Sammlungsschwerpunkt des mre liegt auf Malerei, und mit über 50 Werken von Helen Frankenthaler hat Reinhard Ernst die größte Privatsammlung der US-Amerikanerin zusammengetragen. Frankenthaler ist sozusagen unsere Signature-Künstlerin. Sie ist eine der wichtigsten abstrakten Malerinnen.

So ist es folgerichtig, dass wir sie in diesem Jahr mit gleich zwei Ausstellungen feiern. In Helen Frankenthaler moves – Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess (26.10.2025-22.02.2026) bringen wir sie mit zeitgenössischen Positionen in Dialog. Damit profilieren wir das mre als Ort für junge abstrakte Malerei und als europäischen Kompetenzort für Helen Frankenthaler.“

Vier Positionen im künstlerischen Spannungsfeld

Kuratorin Lea Schäfer erläuterte: „In der Ausstellung Helen Frankenthaler moves treten Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess in eine lebendige Auseinandersetzung mit Frankenthaler-Arbeiten aus der Sammlung Reinhard Ernst, die zum Teil noch nicht gezeigt wurden.

In sämtlichen Räumen bleibt Frankenthaler als zentraler Bezugspunkt sichtbar – sei es durch formale Übereinstimmungen, thematische Anknüpfungen oder direkte Gegenüberstellungen. In einem Ausstellungsbereich begegnen sich schließlich alle vier Positionen in einem gemeinsamen Spannungsfeld.“

Zeitgenössische Resonanzen auf Frankenthaler

Jenny Brosinski (*1984, Berlin) reagiert mit großformatigen, roh und spontan gemalten Leinwänden auf die Bildsprache des Abstrakten Expressionismus. Wie Frankenthaler arbeitet sie auf ungrundiertem Gewebe und schafft eine neue Leichtigkeit des Ausdrucks.

Ina Gerken (*1987, Düsseldorf) entwickelt fein nuancierte Farbschichtungen, die an Landschaften erinnern. Ihre intensive Auseinandersetzung mit Frankenthalers Malprozess im Rahmen eines Aufenthalts in Maine spiegelt sich in der sensiblen Bildauffassung. Adrian Schiess (*1959, Le Locle/Zürich) zeigt irisierende Bodenplatten, deren glatte Oberflächen das klassische Tafelbild hinterfragen und Frankenthalers offene Malweise in den Raum übertragen.

Premiere für Hollegha in Deutschland

Im Frühjahr 2026 widmet das Museum Reinhard Ernst dem österreichischen Maler Wolfgang Hollegha (1929–2023) die erste große museale Einzelschau in Deutschland. Die Ausstellung entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Kurator Günther Holler-Schuster von der Neuen Galerie Graz.

Hollegha wurde 1959 vom einflussreichen Kunstkritiker Clement Greenberg in die USA eingeladen, wo er seine monumentalen Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen präsentierte. Dort bewegte er sich plötzlich im Kreis bedeutender Künstlerpersönlichkeiten wie Morris Louis, Helen Frankenthaler, Kenneth Noland, Jules Olitski und Barnett Newman. Greenberg wie auch Louis und Noland zeigten sich beeindruckt von Holleghas großzügiger und autonomer Gestik.

Geometrie, Farbe, Landschaft

Im Juni 2026 eröffnet das Museum Reinhard Ernst die zweite Präsentation seiner Sammlung. Drei Monate nach dem Start der Hollegha-Ausstellung werden darin zwei weitere Werke des österreichischen Malers gezeigt, um seine künstlerischen Weggefährten und seine Rezeption in den USA im Kontext anderer Sammlungsstücke sichtbar zu machen.

Ein zentrales Thema der neuen Schau ist die geometrische Abstraktion, vertreten durch Arbeiten von Künstlern wie Wojciech Fangor, Victor Vasarely, Murai Masanari, Kenneth Noland und Frank Stella. Ein eigener Raum widmet sich Helen Frankenthaler – ihre Werke treten in einen inspirierenden Dialog mit kraftvollen Arbeiten von Pat Steir und Martha Jungwirth, die sich in ihrer je eigenen Sprache mit landschaftlicher Abstraktion auseinandersetzen.

Hommage an Judit Reigl und „Couleur vivante“

Im Herbst 2026 erwartet Wiesbaden ein besonderes kulturelles Ereignis: Unter dem Titel Judit Reigl und Couleur vivante richtet das Museum Reinhard Ernst eine Ausstellung aus, die der ungarisch-französischen Künstlerin gewidmet ist. Reigl war 1957 die einzige Frau in der wegweisenden Schau Lebendige Farbe – Couleur vivante, die im damaligen Städtischen Museum Wiesbaden stattfand.

Diese Ausstellung war die erste bedeutende museale Würdigung der informellen Malerei in Deutschland und brachte 16 Künstlerpositionen zusammen – jeweils acht aus Frankreich und Deutschland. Sie markierte einen Meilenstein der Nachkriegskunst und begründete Wiesbadens Ruf als engagierter Standort für zeitgenössische Kunst.

Abstraktion als Ausdruck des Aufbruchs

Das Museum Reinhard Ernst bereitet eine Ausstellung vor, die zentrale Elemente der historischen Schau *Couleur vivante* neu aufgreift und zugleich den besonderen kulturellen Geist Wiesbadens in den Fokus rückt. Sie eröffnet einen facettenreichen Blick auf die vitalisierende Wirkung der abstrakten Malerei der 1950er Jahre und würdigt deren Innovationskraft. Im Mittelpunkt steht das Schaffen der ungarisch-französischen Künstlerin Judit Reigl – vertreten durch sieben Werke aus der Sammlung Reinhard Ernst.

Reigl, 1923 im ungarischen Kapuvár geboren und 2020 in Marcoussis bei Paris verstorben, durchlief eine intensive künstlerische Entwicklung. Nach ihrem Studium an der Budapester Akademie der Bildenden Künste gelang ihr 1950 – nach acht gescheiterten Versuchen und einer entbehrungsreichen, teils zu Fuß zurückgelegten Flucht – der Weg nach Paris. Zunächst vom Surrealismus inspiriert, entwickelte sie ab den frühen 1950er Jahren eine eigene abstrakte Bildsprache, geprägt durch experimentelle Techniken und eigens konzipierte Werkzeuge.

Drei Häuser, ein Jubiläum

Zum 70. Jubiläum der wegweisenden Ausstellung *Couleur vivante* würdigen das Museum Reinhard Ernst, das Museum Wiesbaden und der Nassauische Kunstverein gemeinsam dieses bedeutende Kapitel Wiesbadener Kunstgeschichte. Alle drei Institutionen greifen die Themen der historischen Schau auf – jede mit eigenem kuratorischem Schwerpunkt.

Laut Museumsdirektor Dr. Andreas Henning zeigt das Museum Wiesbaden eine konzentrierte Präsentation im Umfeld von *Couleur vivante* und hebt dabei die enge Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen und Museum hervor – insbesondere die Verbindung zwischen Clemens Weiler und den Künstlern Bernard und Ursula Schultze.

Farbe als Dialogform

Lotte Dinse, Direktorin des Nassauischen Kunstvereins, kündigt an, dass ihre Institution zum Jubiläum internationale Positionen präsentiert, „die Farbe als Handlung und Medium der Interaktion begreifen“. Damit werde der Impuls von 1957 in einem zeitgenössischen Dialog fortgeführt.

Auch auf praktischer Ebene rückt die Kooperation enger zusammen: Ab dem 1. August 2025 gilt für Mitarbeitende aller drei Häuser freier Eintritt in den jeweiligen Partnerinstitutionen; Mitglieder der Freundes- und Förderkreise erhalten vergünstigten Zugang.

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