Geschichte

Fachgespräch im Kulturforum beleuchtet Neubeginn nach Krieg

Beim einem Symposium im Kulturforum wurde die komplexe Geschichte des Kriegsendes und der demokratische Wiederaufbau beleuchtet. Historiker und Experten diskutierten über die verschiedenen Erinnerungen an 1945, die Herausforderungen der Entnazifizierung und den Aufbau neuer politischer Strukturen. Dabei wurde deutlich: Eine Stunde Null gab es nicht.

Von: |Erschienen am: 6. Juni 2025 15:16|

Foto: Willi Rudolph / Stadtarchiv Wiesbaden

Im Kulturforum in der Friedrichstraße 16 fand am Donnerstag, 15. Mai, das Symposium „80 Jahre Kriegsende: Demokratischer Neubeginn in Rhein-Main“ statt.

Veranstaltet wurde es vom Stadtarchiv Wiesbaden und der KulturRegion FrankfurtRheinMain, in Zusammenarbeit mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Volkshochschule Wiesbaden. Der Anlass: Der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs.

Verantwortung und Erinnerung in Wiesbaden

In seiner Begrüßung thematisierte Kulturdezernent Dr. Hendrik Schmehl (SPD) die Auseinandersetzung der Wiesbadener Bevölkerung mit der NS-Vergangenheit. Insbesondere die Rolle der Oberbürgermeister zur Zeit des Nationalsozialismus sei rasch in den Fokus geraten – häufig wurden sie als Hauptverantwortliche identifiziert. Wenn Entnazifizierungsverfahren sie dann milder einstuften, sorgte dies für Unmut in der Bevölkerung.

Dr. Schmehl verwies in diesem Zusammenhang auf den letzten amtierenden NS-Bürgermeister Wiesbadens, Felix Piékarski, der unmittelbar nach dem Krieg überraschend im Rathaus vorgesprochen hatte – ein Verhalten, das er heute als Ausdruck „erstaunlicher Dreistigkeit und fehlenden Unrechtsbewusstseins“ wertete.

Einblicke in das Kriegsende verschiedener Städte

Zum Auftakt hielt Dr. Peter Quadflieg einen Impulsvortrag über die letzten Kriegswochen in Wiesbaden. Ihm folgte Prof. Frank Jacob, der über die Situation in Aschaffenburg referierte. Danach sprach Dr. Sandra Zimmermann über das Ende des Krieges und die ersten Besatzungsmonate in Darmstadt. Sylvia Goldhammer ergänzte das Bild mit Einblicken in das Kriegsende in Oberursel.

Ein zentrales Ergebnis dieser Vorträge war: Die kollektiven Erinnerungen konzentrieren sich vor allem auf die Zerstörung der Städte. Erfahrungen von Gewalt im Krieg selbst spielen kaum eine Rolle. Dagegen werde häufig an die Kameradschaft innerhalb der Truppe erinnert.

Demokratie und struktureller Wiederaufbau

Das zweite Panel beleuchtete den Wiederaufbau staatlicher und demokratischer Strukturen. Gregor Maier stellte die Situation im Hochtaunuskreis vor. Dabei ging es insbesondere um die schwierige Integration von Geflüchteten und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in kleinen Gemeinden.

Anschließend analysierte Dr. Thomas Bauer die Entwicklungen in Frankfurt am Main. Am Beispiel der Diskussion um den Wiederaufbau der Paulskirche erläuterte er die Herausforderungen der frühen Nachkriegszeit. Beide Vorträge warfen zudem ein Licht auf die ersten demokratischen Wahlen und die Arbeit der neuen Stadtparlamente.

Wert der Demokratie und juristische Aufarbeitung

Dr. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt, eröffnete das dritte Themenfeld. Sie unterstrich die Bedeutung der Demokratie mit den Worten: „In unseren kommunalen Stadtparlamenten wird Demokratie wirklich gelebt.“ Damit hob sie die Rolle der Kommunen als Fundament der demokratischen Gesellschaft hervor.

Im Anschluss befasste sich Dr. Bernd Blisch mit der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Flörsheim. Am Beispiel des sogenannten „Flörsheimer Kristallnachts-Prozesses“ von 1949 zeigte er auf, dass die Entscheidung, den Prozess vor Ort zu führen, vermutlich zu den ausgesprochen milden Urteilen beitrug. Seine Ausführungen mündeten in eine lebhafte Diskussion.

Historische Vermittlung im Fokus

Den Abschluss bildete eine Podiumsdiskussion zu aktuellen Projekten historischer Bildungsarbeit. Lisa Sommer vom Stadtmuseum am Markt stellte eine Ausstellung vor, die von Schülerinnen der Martin-Niemöller-Schule in Wiesbaden erarbeitet wurde. Thomas Altmeyer erläuterte die Entwicklung des Gedenkorts Adlerwerke in Frankfurt am Main sowie das interkommunale Projekt zu den Todesmärschen der KZ-Häftlinge aus dem Lager Katzbach.

Dr. Markus Häfner (Hanau) und Margit Sachse (Darmstadt/Evreux) präsentierten ihre großangelegten Bildungsprojekte zum Thema Kriegsende. Beide betonten die wachsende Bedeutung digitaler Werkzeuge für die Vermittlungsarbeit.

Fazit: Kein einheitliches Kriegsende

Zum Abschluss zog Kulturdezernent Dr. Schmehl ein Resümee: „Das Symposium hat gezeigt, dass die Ereignisse, die in den vorgestellten Kommunen zum Kriegsende erinnert werden, durchaus verschieden sind.“ Es gebe kein einheitliches Bild des Kriegsendes im Rhein-Main-Gebiet. Gleichzeitig habe sich die Zerstörung der Städte tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Auch sei in allen untersuchten Kommunen eine personelle Kontinuität in den Verwaltungen festzustellen gewesen. Eine echte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit habe vielerorts nicht stattgefunden. Weder die Gewalt an der Front noch die Zustände in alliierten Kriegsgefangenenlagern seien ernsthaft thematisiert worden.

Dr. Schmehl betonte abschließend: „80 Jahre Kriegsende muss Anlass für uns sein, uns kritisch mit der Geschichte auseinanderzusetzen und die Erzählungen der Groß- und Urgroßeltern zu dekonstruieren. Demokratie musste nach 1945 erkämpft und dann gefestigt werden. Eine Stunde Null gab es nicht.“

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