Erinnerungskultur
Jüdische Gemeinde empört über Auftreten der Friedensdemo in Wiesbaden
Eine Friedensdemonstration in Wiesbaden hat mit ihrer Route durch eine Gedenkstätte für die Opfer der Shoah und den Ruf "Free Palestine" für Empörung bei der Jüdischen Gemeinde gesorgt. Die Kritiker sehen darin eine gezielte Provokation und eine Missachtung der Gedenkkultur. In einer Stellungnahme wirft die Gemeinde Fragen zur Sicherheit jüdischer Gemeinschaften und zum Schutz von Gedenkorten auf. Welche Konsequenzen werden gefordert?
Die Jüdische Gemeine in Wiesbaden kritisiert die Friedensdemonstration vom Samstag, 29. März, als einen Affront gegen die jüdische Gemeinschaft und Missachtung der Erinnerungskultur. In einer Stellungnahme werden Bewertungen, Sorgen und Konsequenzen formuliert.
Die Erklärung zu dieser sensiblen Thematik folgt hier im original Wortlaut.
„Free Palestine“-Rufe provozieren die jüdische Gemeinschaft
Mit großer Bestürzung haben wir zur Kenntnis genommen, dass eine sogenannte Friedensdemonstration bewusst durch die Gedenkstätte für die ermordeten Wiesbadener Juden – mitten durch die 1938
zerstörte Synagoge – geführt wurde.
Dass dabei über Lautsprecher „Free Palestine“ gerufen wurde, ist nicht nur eine Missachtung des Gedenkens an die Opfer der Shoah, sondern auch eine gezielte Provokation gegenüber der jüdischen Gemeinschaft.
Beispiellose Perversion
Es ist an Perversion kaum zu überbieten, in einer Gedenkstätte für ermordete Jüdinnen und Juden eine Parole zu rufen, die den einzigen jüdischen Staat delegitimieren soll, in dem viele Überlebende der
Shoah – nicht zuletzt auch aus Wiesbaden – Zuflucht gefunden haben.
Die Lehre aus der Shoah ist nicht Pazifismus um jeden Preis, sondern dass Wehrhaftigkeit überlebensnotwendig ist. „Free Palestine“ bedeutet in der gängigen Verwendung nichts anderes als das Ende Israels – ein Gedanke, der sich nahtlos in die lange Geschichte des jüdischen Existenzkampfes einreiht.
Umdeutung der Opferrolle
Wer an einem Ort des Gedenkens an den industriellen Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden solche Parolen ruft, betreibt nichts anderes als eine geschichtsvergessene Umdeutung der Opferrolle.
Dieser Vorfall ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich in Deutschland für eine verantwortungsvolle Erinnerungskultur einsetzen. Er wirft zudem die Frage auf, wie sich Jüdinnen und Juden in unserer Stadt sicher fühlen können, wenn selbst Gedenkstätten nicht mehr als geschützte Räume respektiert werden.
Demokraten versagen bei Antisemitismus
Noch befremdlicher ist, dass sich selbsterklärte „Demokraten“ daran nicht störten. Wie konnte man sich nach diesem Affront weiter an der Demonstration beteiligen und später noch Reden halten? Wer Judenhass wirklich bekämpfen will, darf solche Grenzüberschreitungen weder aus Opportunismus noch
aus Bequemlichkeit hinnehmen.
Neben Akteuren aus dem verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum sind auch Organisationen und Einzelpersonen mitgelaufen, die sicherlich über jeden Zweifel erhaben sind. Aus Naivität oder falsch verstandenem Idealismus tragen sie durch ihre Teilnahme leider zur gesellschaftlichen Legitimation dieser Bewegung bei. Umso drängender stellt sich die Frage: Warum haben sie geschwiegen, als diese Parolen in der Gedenkstätte gerufen wurden?
Forderung nach Aufklärung
Wir fordern die zuständigen Behörden auf, die Umstände aufzuklären: Warum wurde gerade diese Route genehmigt? Uns ist bekannt, dass eine alternative Route vorgeschlagen wurde. Die Entscheidung, dennoch diesen Weg zu wählen, war also kein Versehen, sondern Absicht.
Welche Maßnahmen werden ergriffen, um sicherzustellen, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen? Darüber hinaus muss die Stadt die Rechtsgrundlagen, insbesondere die Gefahrenabwehrverordnung, so ändern, dass Gedenk- und Erinnerungsorte künftig vor derartigen Provokationen geschützt werden.
Gedenkorte vor Hetze schützen
Orte des Gedenkens dürfen nicht für politische Inszenierungen missbraucht werden. Die Worte „Nie wieder ist jetzt“ klingen hohl, wenn wir zulassen, dass Gedenkstätten heute beliebig zur Kulisse für Hetze verkommen. Die Würde der Opfer verpflichtet uns, ihr Andenken zu schützen.
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